Nach der Europawahl: Das Machtpoker der Fraktionen

Die europäischen Staatschefs versammeln sich am 20. und 21. Juni in Brüssel, um die Postenfrage in der EU zu klären. Die EVP erhebt Anspruch auf die Kommissionspräsidentschaft. Die Liberalen sind damit aber ganz und gar nicht einverstanden. Sie liebäugeln auch mit dem Vorsitz des Europäischen Rates. Und das sind nicht die einzigen Streitpunkte. Europe to Go mit der Zusammenfassung.

Konservative

Die Europäische Volkspartei könnte eigentlich happy sein – immerhin ist sie wieder die stärkste Fraktion im Europaparlament.

Aber sie hat 37 Mandate verloren. Und so richtig klappt das nicht mit ihrem Spitzenkandidaten Manfred Weber für den Posten des EU-Kommissionschefs. Die Staats-und Regierungschef müssten ihn nominieren. Aber damit kann sich zum Beispiel Frankreichs Präsident Macron gar nicht anfreunden. Er beklagt zu wenig Führungsstärke und Charisma.

Aber immerhin hat Webers Fraktion ihn letzte Woche fast einstimmig zum Vorsitzenden wiedergewählt.

Dann ist da noch das leidige Thema Orbán. Dessen Fidesz-Partei ist ja gerade noch von der EVP suspendiert. Aber jetzt, wo die die Europawahl gewonnen hat, würden die Ungarn gerne wieder mitmachen. Dafür haben sie schon eine Reihe Zugeständnisse gemacht - aber Weber wollen sie nicht unterstützen. Es bleibt also spannend bei den Konservativen…

 

Sozialdemokraten

Die europäischen Sozialdemokraten sind wieder Zweite geworden. Allerdings haben sie 25 Sitze verloren und stecken in einer existenziellen Krise.

Dass es intern bröckelt sieht man zum Beispiel am Duell um den Fraktionsvorsitz. Weil die deutsche SPD so viele Stimmen verloren hat, hat Fraktionsvorsitzender Udo Bullmann an Rückhalt verloren. Und die Spanierin Iratxe García fordert ihn heraus. Denn mittlerweile stellt Spanien die größte nationale Delegation – und überhaupt haben jetzt die Sozialisten aus Südeuropa das Sagen.

Einen dicken fetten Hoffnungsschimmer gibt's trotzdem: Der sozialdemokratische Spitzenkandidat, Frans Timmermans, könnte genug Stimmen auf sich vereinen, um EU-Kommissionschef zu werden, eben wenn der konservative Manfred Weber scheitert.

 

Liberale

Die liberale Fraktion hat sich erst mal umbenannt. Und zwar in „Renew Europe“, also „Europa erneuern“. Das wollte die Renaissance-Liste von Präsident Macron so. Die mögen das Wort "liberal" nämlich nicht, klingt denen zu sehr nach Haifischkapitalismus. Und weil es die Liberalen nur dank der Franzosen zur drittstärksten Fraktion geschafft haben, musste der Name eben weg.

Macron hatte auch versucht, seine Listenerste an die Fraktionsspitze zu setzen: Nathalie Loiseau. Aber die ist gerade voll ins Fettnäpfchen getreten. Sie hat den konservativen Spitzenkandidaten Manfred Weber beleidigt und den Falschen erzählt, dass sie die liberale Fraktion von Grund auf umackern will. Jetzt verzichtet sie auf den Fraktionsvorsitz. Wer's am Ende wird, erfahren wir kommende Woche.

Ein bisschen länger dauert es wahrscheinlich noch, bis wir wissen, welcher Liberale welchen Chefposten in der EU bekommt. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager wird hoch für den Kommissionvorsitz gehandelt. Sollte das nicht klappen, träumt Ex-Fraktionschef Guy Verhofstadt davon, Parlamentspräsident zu werden.

 

Grüne

Auch die Grünen wollen nach ihrem historischen Ergebnis bei der Europawahl mindestens einen der EU-Topjobs. Für den Kommissionsvorsitz reicht es wohl nicht. Möglich wäre aber der Posten des EU-Parlamentspräsidenten oder aber der des EU-Außenbeauftragten.

Die grüne Fraktionsspitze steht übrigens schon. Da haben sich die Deutsche Ska Keller und der Belgier Philippe Lamberts gerade bestätigen lassen.

 

Rechtsradikale

„Identität und Demokratie“: Das ist der neue Name der nationalistischen Fraktion, früher „Europa der Nationen und der Freiheit“.

Bisher wurde sie vom französischen Rassemblement National angeführt, aber jetzt steht die italienische Lega mit Marco Zanni an der Spitze. Auch die österreichische FPÖ und die deutsche AfD machen mit, Jörg Meuthen ist sogar Fraktionsvize.

Eigentlich wollten Marine Le Pen und Matteo Salvini ja eine internationale rechte Koalition schmieden und damit drittstärkste Kraft im Parlament werden. Aber die britische Brexit Party und Vox aus Spanien machen ihr eigenes Ding. Deshalb landet „Identität und Demokratie“ auf Platz 5. Trotzdem ein starkes Ergebnis, nur knapp hinter den Grünen.

Einen Spitzenposten in der EU gibt's für die Euroskeptiker aber vermutlich nicht. Bisher wurden sie von den anderen Fraktionen immer übergangen. Dafür rechnen sie auf jeden Fall mit hohen Posten in den Ausschüssen des EU-Parlaments. Von dort aus könnten sie die europäische Gesetzgebung entscheidend mitbeeinflussen.

 

Und sonst ?

Und was geht bei den kleineren Fraktionen? 

Die nationalkonservative EKR hat Zulauf von der spanischen Partei Vox bekommen. Und die polnische Regierungspartei PiS ist ihnen erhalten geblieben. Und das, obwohl die Fraktion gerade nicht so bombig da steht: Mit 61 Sitzen ist sie im Parlament von der Nummer 3 zur Nummer 6 geworden. Und mit dem Brexit verliert sie nochmal 19 Sitze. Aber - stellt euch vor - andere sind noch schlechter dran!

Das frühere rechtspopulistische „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“, kurz EFDD, wird vielleicht nie wieder als Fraktion anerkannt. Denn das besteht derzeit vor allem aus der britischen Brexit-Partei. Und weil die ja jederzeit aussteigen könnte, will keiner mit ihr zusammenarbeiten.

Still ist es auch um die extreme Linke geworden. Mit ihren 40 Abgeordneten wird sie Allianzen mit anderen Fraktionen schmieden müssen, um Einfluss zu ergattern.

Aber im Endeffekt ist das ja auch der Fall für alle anderen Fraktionen. Denn keine hat eine Mehrheit im EU-Parlament.Über diesen nächsten Schritt halten wir euch aber natürlich auf dem Laufenden. Danke, dass ihr dabei wart und bis bald!

 

Journalist

  • Anja Maiwald

  • Loreline Merelle

Land

  • Frankreich

Jahr

  • 2019

Dauer

7 Min.

Verfügbar

Vom 20/06/2019 bis 14/06/2030

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