#FrenchArms: Ein explosives Geschäft

#FrenchArms: Ein explosives Geschäft

Werden Waffen aus Frankreich auch gegen Zivilisten eingesetzt? Werden sie gar genutzt, um Kriegsverbrechen zu begehen?

Unsere Recherche zeigt, dass dies Fall ist.

Frankreich ist der drittgrößte Waffenexporteur weltweit. Zu seinen Kunden zählen auch Länder, die in bewaffnete Konflikte verstrickt sind oder denen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.

Die Journalisten, die an diesem Rechercheprojekt mitgewirkt haben, konnten nachweisen, dass im Jemen, in Libyen, in der Region Westsahara und in Kamerun Waffen im Einsatz waren und sind, die in Frankreich hergestellt wurden. Sie werden sowohl zu Kriegszwecken genutzt, als auch für Folter oder die Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen. Und dies, obwohl Frankreich den Gemeinsamen Standpunkt der EU bezüglich der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern sowie den Vertrag über den Waffenhandel der Vereinten Nationen ratifiziert hat.

Das Projekt

#FrenchArms ist eine Recherche, die vom niederländischen Investigativprojekt Lighthouse Reports, gemeinsam mit dem Investigationskonsortium Disclose, ARTE, Mediapart und Radio France initiiert wurde. Ihr Ziel: Investigativ Recherche, lediglich mithilfe von Computern und einer Internetverbindung.

Kapitel 1

Jemen: Blockade hungert Zivilisten aus

Erste Etappe unserer Recherche: der Jemen. Am 3. September haben die Vereinten Nationen einen Bericht zum Krieg im Jemen veröffentlicht. Er hält fest, dass alle Konfliktparteien dort „Kriegsverbrechen“ begangen haben: „Niemand hat in diesem Krieg saubere Hände.“ Das trifft auch auf Frankreich zu: Laut den UN-Experten „beeinflusst Frankreich den Konflikt und unterstützt bestimmte Parteien“, insbesondere durch „Waffenlieferungen“.

Im Jemen wütet eine der schlimmsten humanitären Krisen weltweit. Mehr als 20 Millionen Jemeniten hungern. Laut den Vereinten Nationen sind etwa die Hälfte davon „eine Mahlzeit vom Verhungern entfernt“. Zwei Millionen Kinder gelten als unterernährt, 400.000 als schwerkrank. Mehr als 90.000 Menschen kamen in über vier Jahren Krieg ums Leben, darunter rund 11.500 Zivilisten.

Die Gründe dieser Krise sind vielfältig. Nähere Information dazu gibt es in dieser früheren Recherche. Fest steht, dass die Seeblockade durch die Koalition unter saudischer Führung die Lage wesentlich verschärft hat.

Im August 2018 haben die Vereinten Nationen einen Bericht veröffentlicht, der die Kriegsverbrechen der Konfliktparteien anprangert, etwa das Aushungern von Zivilisten. Immer wieder blockieren sowohl die jemenitische Regierung, als auch die Huthi-Rebellen die Lieferung von Hilfsgütern, wie Lebensmitteln und Medikamenten, in feindliche Gebiete. Das führte unter anderem zu einer Cholera-Epidemie, die vor allem Kinder trifft.

An dieser Strategie des Aushungerns, die Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gezielt einsetzen, sind auch in Frankreich hergestellte Schiffe und Ausrüstung beteiligt. Mehr dazu erfahren Sie in diesem Video:

Der Kontext des Krieges im Jemen
Der Kampf gegen Cholera im Jemen
Kapitel 2

Westsahara will die Unabhängigkeit

Marokko hält seit 1975 rund 80 Prozent des Territoriums Westsahara besetzt und beansprucht es als Teil seines Staatsgebietes. Das Land hat eine 2720 Kilometer lange Wallanlage errichtet, die 1987 fertiggestellt wurde und von rund 100.000 marokkanischen Soldaten bewacht wird. Ihr Ziel ist es, die Kämpfer der Befreiungsbewegung Frente Polisario auf Abstand zu halten, die bis 1991 erbitterten Widerstand gegen Marokko leisteten und heute rund 20 Prozent des Territoriums verwalten. In jenem Jahr unterzeichneten die Konfliktparteien ein Waffenstillstandsabkommen. Darin vorgesehen war, dass die einheimische Bevölkerung ein Jahr später in einer Volksabstimmung über die Zukunft des Territoriums entscheiden sollte. Das Referendum fand jedoch nie statt.    

Marokko beansprucht nach wie vor die Verwaltungshoheit über das Territorium. Seine Bewohner, die Sahrauis, werden konsequent unterdrückt. Viele von ihnen mussten ihre Heimatregion verlassen und leben in Flüchtlingslagern in der algerischen Wüste. Daneben betreibt Marokko eine aktive Kolonisierung, indem es die Niederlassung von Marokkanern in Westsahara massiv fördert. Das hat dazu geführt, dass seit 2015 mindestens doppelt so viele Marokkaner dort leben als Sahrauis. „Zwangsweise Einzel- oder Massenumsiedlungen“ werden laut Artikel 49 des Genfer Abkommens 4 als Kriegsverbrechen betrachtet.   

Was wird Marokko vorgeworfen?
Der Hauptvorwurf lautet: Marokko verweigert den Sahrauis das Recht auf Selbstbestimmung, das ihnen eine 1952 verabschiedete UN-Resolution garantiert. Rabat setzt dabei auf permanente Repression, die regelmäßig die Menschenrechte verletzt. So hält ein Amnesty-International-Bericht vom April 2019 „fortlaufende Beschneidungen des Rechts auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit“ fest, „insbesondere gegenüber Personen, die sich für das Recht auf Selbstbestimmung einsetzen“.

Was tut die UNO?
Der UN-Sicherheitsrat hat am 29. April 1991 die „Mission der Vereinten Nationen für das Referendum in Westsahara“ (MINURSO) ins Leben gerufen. Seit 28 Jahren sind dort 230 Blauhelme zur Friedenssicherung stationiert. Die Mission ist auch mit der Vorbereitung des Referendums betraut, dessen Abhaltung jedoch bis heute am Widerstand Marokkos scheitert.

Was tut die EU?
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat 2018 festgestellt, dass die EU das Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis zu respektieren hat. Auf dieser Grundlage empfahl ein Generalanwalt des EuGH die Aufhebung eines Fischereiabkommens zwischen der EU und Marokko. Ihm zufolge wurde der Vertrag auf der Basis der Quasi-Annexion von Westsahara durch Marokko geschlossen und verletzt damit das Selbstbestimmungsrecht und das Recht der Sahrauis, über ihre natürlichen Ressourcen zu verfügen. Ein EuGH-Urteil hielt in der Folge fest, dass die Einbeziehung von Westsahara in ein Handelsabkommen nur dann rechtens sei, wenn ihr die Sahrauis zugestimmt hätten. Nach Konsultationen, die unter anderem von den Grünen im Europaparlament als Alibi kritisiert wurden, weil sie ohne den von der UNO als Vertreter der Sahrauis anerkannten Frente Polisario stattfanden, billigte das Europaparlament Anfang 2019 schließlich trotzdem ein Abkommen, das die Gewässer vor Westsahara einschließt. Gleichzeitig erkennt die EU Marokkos Hoheitsanspruch auf das Territorium weiterhin nicht an. Die Position der EU erscheint also äußerst widersprüchlich.

Was wird Frankreich vorgeworfen?
Trotz völkerrechtlicher Bedenken und der Kritik internationaler Organisationen liefert Frankreich weiter militärische Ausrüstung, die Marokko in Westsahara einsetzt. Damit, so die Hauptvorwürfe,

  • unterstützt Paris die militärische Besetzung und die Kolonisierung Westsaharas durch Marokko
  • und erleichtert die Plünderung der Ressourcen des besetzten Territoriums.

Unsere Recherche weist nach, dass in Westsahara tatsächlich von Frankreich geliefertes Gerät im Einsatz ist. Hier die Beweise im Video:

Die letzte Kolonie Afrikas darf nicht vergessen werden! – Alle Internetze
Die Aktivisten von Equipe Media wollen das Schicksal der Sahrauis bekannt machen und fordern die Unabhängigkeit.

Chapitre 3

Kamerun: Zivilisten geraten zwischen die Fronten

Seit einigen Jahren wird der Norden Kameruns von Boko-Haram-Milizen heimgesucht. Sie plündern, kidnappen und töten Zivilisten. Die Regierung greift hart durch und verletzt hierbei immer wieder internationales Recht. Es kam zu willkürlichen Verhaftungen, Folter und außergerichtlichen Erschießungen. Die Machthabenden gehen auch gegen ihre eigene Bevölkerung vor. Vor allem die englischsprachige Minderheit im Süden des Landes ist seit 2016 von gewaltsamen Übergriffen, Folter und Morden durch die Sicherheitskräfte betroffen. Dies belegt ein 2018 veröffentlichter Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Er dokumentiert vermutliche Kriegsverbrechen durch die Spezialeinheit des kamerunischen Heers „Bataillon d’intervention rapide“, kurz BIR.

Im Februar 2019 haben die USA einen Großteil der Militärhilfen an Kamerun gestrichen (mehr als 15 Millionen Euro pro Jahr), um die repressive Sicherheitspolitik des Landes anzuprangern. Das Land wird also auf neue gepanzerte Fahrzeuge, Boote und militärische Trainings verzichten müssen.

Im Interview mit der Deutschen Welle forderte die kamerunische Journalistin Yeye Tatah die europäischen Staaten auf  ebenfallsVerantwortung zu übernehmen.

Was unsere Recherche zeigt
Die Recherchen von Disclose gemeinsam mit ARTE zeigen, dass Frankreich auch nach Bekanntwerden der groben Menschenrechtsverletzungen 2016 und 2017 gepanzerte Militärfahrzeuge des Typs Bastion an Kamerun geliefert hat. Diese werden in Frankreich hergestellt und rüsten die Elitetruppe BIR aus, der brutale Übergriffe auf Zivilisten vorgeworfen werden. Die Fahrzeuge konnten auf der Militärbasis von Salek lokalisiert werden, dem nördlichen Hauptquartier der BIR. Die Basis ist für ihre geheimen Folterkammern berüchtigt  (https://forensic-architecture.org/investigation/torture-and-detention-in-cameroon). Ebenso geortet wurden sie im Süden Kameruns, wo die englischsprachigen Separatisten und Zivilisten durch die BIR und die Armee drangsaliert werden.

Kamerun: Das vergiftete Erbe der Kolonialzeit
Kapitel 4

Ägypten – Kriegsverbrechen mit französischer Ausrüstung

Panzerfahrzeuge, Kriegsschiffe und Abfangjäger: Die Liste der Waffenexporte Frankreichs nach Ägypten wird seit 2012 immer länger. Allein seit 2015 wurden Verträge in Höhe von sechs Milliarden Euro unterzeichnet, darunter der Kauf von 24 Rafale-Kampfjets. Ägypten ist inzwischen der viertgrößte Waffenabnehmer Frankreichs.

Offiziell ist Ägypten ein strategischer Partner der Französischen Republik. „Ein Land mit 100 Millionen Einwohnern, das für die Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten und in Europa von entscheidender Bedeutung ist“, hieß es aus dem Elyséé-Palast vor Macrons letztem Staatsbesuch am Nil im Januar 2019. Zur Sicherheit Europas trägt Ägypten als Partner im Kampf gegen den islamistischen Terror bei. Ausschließlich in diesem Rahmen sollen die von Frankreich gelieferten Waffen vor allem zur Sicherung der Grenze zu Libyen eingesetzt werden.

Die Wahrheit sieht anders aus: Ein Amnesty-International-Bericht von 2018 zeigt, wie französische Ausrüstung zur Niederschlagung der Proteste im Jahr 2013 beigetragen hat. Besonders gepanzerte Fahrzeuge vom Typ MIDS und Sherpa wurden zur gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen benutzt. So waren – und das ist nur eines von mehreren Beispielen  – Sherpa-Fahrzeuge am 14. August 2013 in Kairo im Einsatz. Fast 1.000 Menschen starben an diesem Tag.

Human Rights Watch seinerseits dokumentiert im Bericht „Wenn euch das Leben lieb ist, verlasst den Sinai!“ vom Mai 2019 die Übergriffe des ägyptischen Regimes auf der Sinai-Halbinsel: Massenverhaftungen, Verschleppungen, Folter, außergerichtliche Hinrichtungen, Morde an Kontrollstellen.

Auch solche bekannten, schweren Menschenrechtsverletzungen halten Frankreich nicht davon ab, weiter Waffen an Ägypten zu liefern. Im Gegenteil: Die Rüstungsexporte dorthin sind massiv gestiegen, seit 2014 der Ex-Armeechef Abdel Al-Sisi mit 96,9 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt wurde.

Was unsere Recherche zeigt 
Wir haben unsere Recherchen auf die 24 Rafale-Kampfjets konzentriert, die Frankreich 2015 an Ägypten verkauft hat. Dabei haben wir herausgefunden, dass eines dieser Flugzeuge mindestens einen Angriff auf Zivilgebäude in Libyen geflogen hat. In diesem Propagandavideo der ägyptischen Armee vom Mai 2017 versichern Soldaten, ihr Einsatzziel sei ein Trainingslager von Dschihadisten bei Derna in Libyen. Eine genaue Analyse der Bilder beweist jedoch, dass der Angriff auf ein Verwaltungsgebäude in Hon erfolgte, 700 Kilometer von Derna entfernt.

So liefert ausgerechnet ein ägyptisches Armee-Video den Beweis, dass zumindest in diesem einen Fall französische Waffen zu einem Angriff auf ein ziviles Ziel dienten. Die Kennzeichnung des Jets gestattet sogar den Nachweis, dass es sich um einen der 24 Rafale aus der Lieferung von 2015 handelt:

Bei dem Angriff am 26. Mai 2017, gab es keine Opfer. Doch er war nicht der einzige Einsatz der ägyptischen Luftwaffe in Libyen.  Ein Amnesty-International-Bericht von 2015 dokumentiert ein Kriegsverbrechen: den Luftangriff vom 16. Februar 2015, bei dem sieben Zivilisten getötet wurden. Human Rights Watch berichtet von einem weiteren Angriff in Derna, bei dem 16 Zivilisten starben.

Warum sind die Waffenexporte illegal?

Die Waffenexporte verstoßen sowohl gegen das europäische, als auch das internationale Recht. Am 8. Dezember 2008 haben die europäischen Staats- und Regierungschefs den Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP unterzeichnet. Darin geht es um die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern. Die EU-Länder legten sich auf acht recht strikte Regeln fest. Seitdem sind Verkäufe unter anderem dann verboten, wenn sie bewaffnete Konflikte auslösen oder verschärfen können. Ebenfalls verboten sind Verkäufe, wenn autoritäre Staaten die Waffen gegen ihre eigene Bevölkerung nutzen, oder dazu, andere Länder anzugreifen oder fremde Gebiete zu besetzen. Erlaubt sind Waffenexporte beispielsweise dann, wenn sie zu „Frieden, Sicherheit und Stabilität in einer Region“ beitragen.    

Um den Gemeinsamen Standpunkt umzusetzen, hat der EU-Rat ein Jahr später einen Leitfaden erstellt. Doch es ist kein Staatsgeheimnis, dass sich ein großer Teil der europäischen Mitgliedsländer nicht daran hält. Das EU-Parlament kreidet diese Situation regelmäßig an, doch die EU hat keine Sanktionsmechanismen, um die gemeinsamen Regeln rechtlich durchzusetzen.

Außerdem hat Frankreich, genau wie Deutschland, den Vertrag über den Waffenhandel der Vereinten Nationen ratifiziert, der am 24. Dezember 1994 in Kraft getreten ist. Darin verpflichten sich die Regierungen dazu, keine Waffen an Staaten zu liefern, wenn diese gegen Zivilisten oder zivile Einrichtungen eingesetzt werden könnten oder zum Begehen von Kriegsverbrechen.

Wie unsere Recherche zeigt, haben die in Frankreich hergestellten Waffen jedoch sowohl im Jemen, als auch in der Region Westsahara, in Libyen und in Kamerun dazu beigetragen, die Bevölkerung auszuhungern und zu unterwerfen, Zivilisten zu töten und Separatisten blutig zu bekämpfen sowie das Selbstbestimmungsrecht einer Bevölkerungsgruppe zu missachten. Frankreich hat sich an diesen Verbrechen mitschuldig gemacht.

 

Waffenhandel: Der Gemeinsame Standpunkt der EU
Die Waffenexporte der europäischen Staaten

Impressum

Hauptabteilung Information: Marco Nassivera
Redaktionsleiter: Frédéric Méon, Hugues Jardel
Videos: Maud Jullien, Hérade Feist, Alexander Wolkers
Text: Mathieu Boch
Übersetzung: Manfred Walser
Grafik: Loïc Bertrand, Côme Peguet
Schnitt: Marc Maiffret, Markus Hubers

© ARTE G.E.I.E 2017