#EUArms: Das Geschäft mit militärischen Serviceleistungen

Wartungsarbeiten an Waffen und militärische Kampftrainings: Eine investigative Recherche über das lukrative Geschäft europäischer Rüstungsunternehmen.

#EUArms: Das Geschäft mit militärischen Serviceleistungen

Wartungsarbeiten an Waffen und militärische Kampftrainings: Eine investigative Recherche über das lukrative Geschäft europäischer Rüstungsunternehmen.

Diese investigative Recherche zeigt, wie europäische Rüstungsfirmen trotz internationaler Waffenembargos und Kriegsverbrechen mit Wartungsarbeiten und Trainings Geld machen.

Der After-Sales-Markt wird für die Rüstungsindustrie immer wichtiger: Laut aktuellen Studien macht er über 50 Prozent eines jeden Großauftrags aus. Neben dem Verkauf und Export der Hardware generieren Betrieb und Wartung einen beträchtlichen Teil der Einnahmen von Waffen-Herstellern.

Dienstleistungen wie Trainings und Wartungsarbeiten schaffen eine unsichtbare, aber langfristige Verbindung zwischen Kunden und Hersteller. Doch wer haftet, wenn diese Waffen bei Kriegsverbrechen eingesetzt werden?

Die investigative Recherche von Lighthouse Reports zeigt, wie die französische Waffenindustrie entgegen den politischen Verpflichtungen und trotz völkerrechtlicher Beschränkungen den Libyen-Konflikt anheizt, indem sie Waffen, Ausbildung und technische Hilfe an die türkische und emiratische Armee liefert. Die Ergebnisse der Recherche zeigen außerdem, wie das französische Waffenunternehmen DCI für saudische Soldaten Trainings an Haubitzen-Geschützen des Typs Caesar bereitstellt, während im Jemen der Krieg wütet.

Das Projekt

#EUArms ist eine investigative Recherche, das von Lighthouse Reports gemeinsam mit ARTE, ARD, Stern Magazin und Mediapart realisiert wurde.

#EUArms - 1. Kapitel

Libyen: Wie französische Unternehmen den Konflikt nähren

Frankreich, Deutschland, Italien und die europäische Diplomatie kritisieren vehement die Missachtung des UNO-Waffenembargos durch die seit Monaten im libyschen Konflikt verwickelten ausländischen Mächte.

Unsere Recherche ergibt, dass die französische Industrie, im Widerspruch zu den politischen Verpflichtungen Frankreichs und trotz der Einschränkungen, die vom internationale Recht auferlegt werden, den libyschen Konflikt durch die Lieferung von Waffen, Ausbildung und technischer Hilfeleistung an die türkische und die emiratische Armee nährt.

Die vertretenen Parteien: Die Türkei und Katar unterstützen die von der UNO anerkannte Regierung, die GNA (Government of National Accord), während Russland, Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate beschuldigt werden, die LNA (Libysch-Nationale Armee) der Rebellen unter General Chaftar zu unterstützen.

„Es gab einen starken Konsens darüber, dass das Waffenembargo vollständig eingehalten und angewendet werden soll. Wir wissen, dass dies nicht der Fall ist. Das Waffenembargo wird systematisch missachtet und die Kämpfer werden mit unglaublichen Mengen an Waffen versorgt, wodurch Feuerpausen schwierig und Gefechtspausen sehr, sehr schwach werden.“ Josep Borrell, Außenbeauftragter der EU Februar 2020

Die Mirages 2000-9 der Vereinigten Arabischen Emirate werden beschuldigt, ein Flüchtlingslager bombardiert zu haben

Die Beteiligung der Vereinigten Arabischen Emirate am Libyenkonflikt wurde vielfach nachgewiesen, auch wenn Abu Dhabi sie nicht offiziell anerkennt.

Kürzlich hat die UNO auf die wahrscheinliche Verantwortung eines Jagdflugzeuges französischer Herstellung, dem Mirage 2000-9, bei einem Angriff verwiesen, der viel Aufsehen erregt hat. Es handelt sich um die Bombardierung eines Auffanglagers für Asylbewerber in Tagiura, unweit der libyschen Hauptstadt Tripolis, die 53 Todesopfer forderte, darunter Minderjährige. Diese Zivilisten sind einem Luftschlag erlegen, der als Verstoß gegen das internationale Menschenrecht bezeichnet worden ist.

Die UNO nennt die Vereinigten Arabischen Emirate zwar nicht namentlich in ihrem Bericht, doch dieses Land verfügt als Einziges über das in den Unterklagen genannte Jagdflugzeug: dem Mirage 2000-9.

Bericht der Expertenkommission der UNO zum Thema Libyen, 2019.

Ein weiterer Bericht, der von der Expertenkommission der UNO im August 2020 dem Sicherheitsrat vorgestellt und von der Wall Street Journal eingesehen wurde dokumentiert die Verwendung durch die Vereinigten Arabischen Emirate vom Stützpunkt Sidi Barrani, in Ägypten, um Ausrüstung nach Libyen zu schaffen. „Viele dieser Flüge sind auf dem Luftstützpunkt Sidi Barrani in Ägypten, nahe der libyschen Grenze gelandet. Von dort haben Fahr- und Flugzeuge militärische Ausrüstung nach Libyen gebracht“ erklären die Experten und verweisen auf Luftbilder und Flugregistrierungen.

Unsere Recherche zeigt, dass es 2019 und 2020 mindestens vier Mal zur Stationierungen von Mirages 2000-9 in Sidi Barrani kam. Emiratische Flugzeuge, die eigentlich keinen Grund hatten, sich in Ägypten zu befinden, wurden von Satelliten auf diesem Stützpunkt fotografiert. Wir haben auch eine Luftaufnahme von einem Mirage 2000 in Tobruk, Libyen, im Juni 2020 gefunden.

Obwohl es zahlreiche Hinweise darauf gibt, dass die Mirage 2000 der Vereinigten Arabischen Emirate sehr wahrscheinlich im Libyenkonflikt eingesetzt werden und dies gegen das UNO-Embargo verstößt, haben die französischen Unternehmen Dassault, Thales und MBDA im Jahr 2019 einen Vertrag zur Modernisierung der emiratischen Mirages-2000-9-Flotte unterzeichnet, dessen Wert auf mehrere Hunderte Millionen Euro geschätzt wird.

Vor der Unterzeichnung der Verträge frohlockte der CEO von Dassault über die enge Zusammenarbeit seines Unternehmens mit der emiratischen Armee: „Die Vereinigten Arabischen Emirate haben bei der letzten Fachmesse in Dubai verkündet, dass sie ihre Mirages 2000-9 modernisieren und aufrüsten möchten. Wir beschäftigen vielerorts Teams, die die Hauptkontrollen an den Mirages 2000 durchführen, um deren Leben gewissermaßen zu verlängern. Und wir haben systematisch entschieden, Dassault-Teams zu den Luftwaffen unserer Kunden zu schicken, um diese Arbeit zu leisten. Wir arbeiten also mit den örtlichen Luftwaffen zusammen, um die wichtigsten Kontrollen durchzuführen“ erklärte Éric Trappier 2018 während eines Telefonats mit Investoren (Quelle kann nicht veröffentlicht werden).

Das Auffanglager in Tagiura nach dem Luftangriff.

Erste Recherche

Libyen: Wie französische Unternehmen den Konflikt nähren

Laut Prof. Frédéric Mégret, Spezialist für internationales Recht, stellt technische militärische Hilfeleistung einen Verstoß gegen das libysche Embargo dar und sind die Unternehmen, die einen Kundendienst anbieten, zu Sorgfaltspflicht verpflichtet. Ferner meint er, dass Frankreich, das gegen drei Unternehmen wegen Embargomissachtung Sanktionen verhängt hat, sich auch mit seiner eigenen Industrie befassen sollte.

#EUArms - 2. Kapitel

Libyen: Verstößt Airbus gegen das Waffenembargo?

Erst Anfang Juni 2020 hat der UN-Sicherheitsrat das Waffenembargo gegen Libyen verlängert. Doch der deutsch-französische Flugzeugbauer Airbus verstößt allem Anschein nach gegen das Embargo.

Ankaras Unterstützung der libyschen Regierung der nationalen Übereinkunft ist eine offizielle Sache, und immer wieder statten türkischen Behörden Tripolis oder Misrata Besuche ab.

Die Vereinigten Staaten und Frankreich äußern lautstarke Kritik an dieser Einmischung in den libyschen Konflikt, der französische Präsident Emmanuel Macron beschuldigt die Türkei sogar, syrische Söldner in Libyen eingesetzt zu haben: „Der hauptsächliche auswärtige Akteur in Libyen ist heutzutage die Türkei und meiner Ansicht nach hält dieses Land keine der Vereinbarungen ein, die bei der Berliner Konferenz getroffen wurden. Seitdem hat die Türkei noch mehr Militär nach Libyen gesendet und massiv Dschihadistenkämpfer aus Syrien reimportiert. Ich denke, dass es sich um eine historische und kriminelle Verantwortung für jeden Staat handelt, der sich als NATO-Mitglied bezeichnet.“

Die europäische Union hat drei Unternehmen, darunter ein türkisches, sanktioniert, die beschuldigt werden, letzten September gegen das libysche Embargo verstoßen zu haben.

Unsere Recherche beweist allerdings, dass auch das europäische Unternehmen Airbus die Armee von Ankara entschieden unterstützt, nämlich über die internationale Behörde OCCAR (Organisation Conjointe de Coopération en matière d’Armement) deren Haupttätigkeit laut eigener Webseite die „Verwaltung der Kooperation in Sachen Ausrüstungsprogramme zur Verteidigung“ ist.

Aktuelle Mitgliederstaaten der OCCAR sind Deutschland, Belgien, Spanien, Frankreich, Italien und das Vereinigte Königreich.

Vertreter der türkischen Luftwaffe, türkische Industrielle von OCCAR und von Airbus Defence and Space in Kayseri, die hauptsächliche Basis der A400M in der Türkei. (Quelle: www.occar.int)

Zweite Recherche

Libyen: Verstößt Airbus gegen das Waffenembargo?

Unsere Recherche beweist, dass vier Militärtransportflugzeuge vom Typ Airbus A400M mit bis zu 37 Tonnen Frachtkapazität zwischen Ende Juni und Mitte August 2020 mindestens 10 Flüge zwischen der Türkei und Libyen absolviert haben.

Im Rahmen des Vertrags zwischen der Türkei und der OCCAR, der bis 2023 läuft, befindet sich Airbuspersonal auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt in Kayseri, von dem aus diese Flugzeuge starten.

„Airbus Defence and Space hilft der türkischen Luftwaffe durch die Leistung von technischer Unterstützung und Instandhaltung, die von einem Spezialteam mit Standort am wichtigsten Stützpunkt der Türkei ausgeführt wird“, so die Webseite der OCCAR.

Für Kevin Jon Heller, Professor für internationales Recht und Sicherheit am Zentrum für Militärstudien der Universität Kopenhagen, sind die europäischen Länder absolut dazu verpflichtet, ihre Gebiete und ihre Bürger daran zu hindern, sich an Verstöße gegen das Embargo zu beteiligen.

Machtverhältnisse in Libyen: Die Uneinigkeit der EU
#EUArms - 3. Kapitel

Jemen: Kampftrainings für saudische Soldaten in Frankreich

Das französische Unternehmen DCI stellt Trainings für saudische Soldaten bereit. Diese beinhalten operative Schulungen an selbstfahrenden Haubitzen des Typs Caesar, einem Artillerie-System, das im Jemen-Krieg eingesetzt wird.

Unsere Recherche zeigt, wie Verkauf und Export von Artillerie-Systemen nur einen Teil des Vertrages zwischen dem französischen Unternehmen Nexter, dem Hersteller von Caesar-Haubitzen, und Saudi-Arabien darstellen. Der andere Teil betrifft fortlaufende Dienstleistungen, welche auch Trainings beinhalten. Trainings, die zum Teil in Frankreich stattfinden.

Die französische Regierung gibt auf Anfrage zu Protokoll, dass diese spezifischen Trainings nicht gegen internationale Abmachungen verstoßen.

Dritte Recherche

Jemen: Kampftrainings für saudische Soldaten in Frankreich

Das französische Unternehmen DCI, dessen Hauptaktionär der französische Staat ist, stellt umfassende Schulungen für Personal der saudischen Nationalgarde SANG zur Verfügung. Die Trainings finden in Draguignan, Frankreich, statt.

DCI (Défense Conseil International) verfügt außerdem über Personal in Saudi-Arabien. Ausbildner und Techniker nehmen Schulungen und Wartungsarbeiten vor Ort vor. Anonyme Quellen bestätigen uns, dass ein großer Teil des französischen Militär-Knowhows in andere private Firmen vor Ort fließt, z.B. Caesar International oder ISD.

Bei den Trainings in Frankreich handelt es sich um Kampftrainings an Haubitzen-Geschützen des Typs Caesar, die vom französischen Unternehmen Nexter hergestellt werden. Geschult werden die Soldaten u.a. am computerbasierten Steuerungssystem ATLAS, welches für die automatisierte Kriegsführung mit Artillerie-Geschützen entscheidend ist. Das französische Unternehmen Thales und der Schweizer Hersteller RUAG stellen die Simulationsausrüstung zur Verfügung. Ehemalige Ausbildner bestätigen uns, dass die Soldaten für Gefechte trainiert werden.

Ein Video von DCI zeigt, wie Militärpersonnal der SANG am computerbasierten Programm ATLAS geschult wird.

Ceasar-Haubitzen im Jemen-Krieg

Das ist insofern kritisch, als dass die Caesar-Haubitzen im Jemen-Krieg potentiell auch zivile Ziele treffen könnten. 2019 hat ARTE zusammen mit Disclose aufgedeckt, dass rund 48 Caesar-Haubitzen von saudischen Truppen an der Grenze zum Jemen genutzt werden. 

Die jemenitische NGO Mwatana dokumentiert Artillerie-Beschüsse in der Grenzregion und gleicht sie mit den Standorten der Caesar-Haubitzen ab. Das Ergebnis: Es gibt unzählige Vorfälle mit Verwundeten und Toten, die sich auf Artillerie-Geschütze zurückführen lassen, an denen potentiell auch die Caesars beteiligt sind.

„Saudi-Arabien ist verpflichtet, die Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen zu respektieren, was aber in städtischen Gebieten kompliziert ist. Es ist vor allem kompliziert, weil die Caesar-Haubitze eine beachtliche Reichweite hat und schwierig ist, die Ziele im Feld zu unterscheiden.“ Annyssa Bellal

Annyssa Bellal

Annyssa Bellal ist Senior Research Fellow und strategische Beraterin für humanitäres Völkerrecht an der Geneva Academy sowie leitende Dozentin an der Science Po in Paris.

Die Karte der jemenitischen NGO gleicht Artillerie-Beschüsse mit der Reichweite der Caesar-Geschütze ab. (Quelle: Mwatana)

SANG-Personal vor einem Caesar-Haubitzen in der Grenzregion zum Jemen.

Wer ist rechtlich für Verstöße gegen das Völkerrecht verantwortlich?

Nach den Ergebnissen unserer Untersuchung könnte das Unternehmen DCI für Verstöße gegen seine Pflichten gemäß den UN-Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte (UNGPs) verantwortlich gemacht werden. DCI sollte seiner Sorgfaltspflicht nachkommen. Oder in anderen Worten: DCI ist verpflichtet, die Auswirkungen seiner Schulungen zu beobachten und Geschäftsbeziehungen sofort zu beenden, falls das Risiko besteht, dass Menschenrechte verletzt werden.

Die Leistungen von DCI sind indes Teil eines Vertrages zwischen Saudi-Arabien und Frankreich, das Lizenzen für den Export von Caesar-Geschützen erteilt. Liegt die eigentliche Verantwortung also beim Staat? Unsere Expertin Annyssa Bellal unterstreicht, dass der französische Staat in erster Linie verpflichtet ist, die Lizenzen für die Exporte der Caesars zu suspendieren, wenn ein erhöhtes Risiko einer Völkerrechts-Verletzung besteht.

„Wenn Frankreich die Exporte dieser Waffen stoppt, dann respektiert es den Vertrag über den Waffenhandel, den es mitunterzeichnet hat. Die Frage der Verantwortung ist schwieriger, was DCI betrifft, da DCI ein privates Unternehmen ist und somit nicht dem internationalen Recht unterstellt ist. Es ist jedoch dazu verpflichtet, die Sorgfaltspflicht zu beachten.“ Annyssa Bellal

Der Kontext des Krieges im Jemen

Reaktionen auf unsere Recherchen

Wir haben die Details unserer Recherchen sowohl DCI als auch der französischen Regierung vorgelegt. DCI hat es versäumt, die Sachverhalte klarzustellen. Die französische Regierung hat in ihrem Schreiben darauf hingewiesen, dass die Caesar-Geschütze an der saudischen Grenze zum Jemen rechtmäßige Funktionen erfüllen und in erster Linie zu Abwehrzwecken eingesetzt würden. Die Vergabe von Exportlizenzen sowie die Autorisierung von militärischen Trainings folge strikten Richtlinien, die den internationalen Vereinbarungen entsprächen.

Die Fortführung von Trainings in Frankreich und Wartungsarbeiten im Königreich Saudi-Arabien hat die Regierung weder bestätigt noch abgestritten.

Impressum

Eine investigative Recherche von Lighthouse Reports in Zusammenarbeit mit ARTE, ARD, Stern Magazin und Mediapart.

Hauptabteilung Information: Marco Nassivera
Redaktionsleiter: Frédéric Méon
Redaktion: Maud Jullien, Jonas Dunkel
Grafik: Loïc Bertrand
Schnitt: Anne-Laure Wittmann, Grégory Hopf

© ARTE G.E.I.E 2017