Was wäre Ihnen lieber: als Gefangener Ihren Käfig mit Dutzenden von Riesenvogelspinnen teilen, oder auf den Rücken einer Antilope gefesselt sein, die vor einer Löwenmeute flieht? Anders gesagt: Wären Sie lieber Theresa May, die in Salzburg den 26 Verbleibenden ihren „Chequers-Plan“ für die zukünftigen Wirtschaftsbeziehungen verkaufen muss, oder Theresa May, die beim Torie-Kongress dem blutrünstigen Boris Johnson gegenübersteht? Wer wie wir an seiner körperlichen und geistigen Gesundheit hängt, würde sagen: weder noch. Und das wäre verdammt weise.
Mega-Fete bei den Tories
Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, in unserer letzten Folge Anfang Juni hatte Theresa May gerade einen Sch***plan vorgelegt und träumte von technologischen Neuerungen, die eine eventuelle neue inner-irische Grenze schmerzlos machen könnten. Wir treffen sie heute bei einem Parteikongress wieder, auf dem sie ihren Kopf retten muss. Vom 30. September bis zum 3. Oktober halten die Tories ihre jährliche Hochmesse, dieses Mal, angesichts des immer näher rückenden Brexit, in einer besonders mörderischen Atmosphäre.
Zu meiner Rechten: der ehemalige Außenminister Boris Johnson, der Abgeordnete Jacob Rees-Mogg und die Verfechter eines „hard brexit“. Sie werfen der Regierungschefin vor, sie sei der EU gegenüber viel zu kulant und verwässere damit das Resultat des Referendums von 2016. Das britische Double von Donald Trump versucht, sich als nächster Mieter der Downing Street zu profilieren, aber bitte nicht sofort – wer möchte schon mitten in einem Hurrikan umziehen? Das lässt sich an seinem Auftritt am Dienstag, dem 2. Oktober, ablesen. Da war BoJo nämlich in Bezug auf seine frühere Chefin richtig gemäßigt – in seinem Fall ein Stilbruch. Er hat sogar dazu aufgerufen, sie zu „unterstützen“. Man fragt sich allerdings, was das heißen soll, wenn er parallel dazu – einige Tage zuvor – dem Sunday Telegraph erklärt, der Chequers-Plan gehöre „auf den Müll“. Er sei nämlich „eine moralische und intellektuelle Erniedrigung für das Land“ und illustriere den „fehlenden Willen des britischen Establishments, die Entscheidung des Volkes umzusetzen.“ Schöne Unterstützung…
Zu meiner Linken: jene, die ein zweites Referendum fordern, wie Simon Allison, Kopf der Gruppe „Conservatives for a People’s Vote“ (Konservative für eine Volkswahl) und Mitglied der „Tories against Brexit“ (Tories gegen den Brexit). Ihr Credo: Die Teilnehmer am Brexit-Referendum 2016 „wurden alle von einer politischen Klasse verraten, die zu glauben scheint, dass ihr eigenes Überleben wichtiger ist als ihre Verpflichtungen gegenüber ihrem Land.“ Am Sonntag haben Allison und seine Anhänger demonstriert, gemeinsam mit Verfechtern eines zweiten Referendums aus anderen Lagern, darunter der Labour-Partei. Eine bescheidene Kundgebung – um die 200 Teilnehmer -, die aber deutlich macht, wie gespalten die Konservativen sind.
Und zwischendrin: Theresa May, deren Vorschläge und Verhandlungsfortschritte mit der EU niemanden befriedigen.
Verhandlungen mit der EU: Druck, sagen Sie? Welcher Druck?
Zwei Wochen zuvor unternahm die britische Premierministerin einen Abstecher nach Salzburg – so schick und so idyllisch: Alpenkulisse, Mozarts Geburtshaus und Festspiele. Der ideale Rahmen, um dem Europäischen Rat, sprich den Staats- und Regierungschefs, ihren Chequers-Plan zu verkaufen, der die Wirtschaftsbeziehungen nach der Scheidung regeln soll.
Doch die Kollegen, allen voran Emmanuel Macron, haben sich die Schmuddelware nicht andrehen lassen. Ihr Eindruck, auf den Punkt gebracht: Theresa May will auf mindestens zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen.
Wir bringen Ihnen den ominösen Chequers-Plan auf den Punkt, damit Sie sich Ihre eigene Meinung machen können. Sein Name kommt übrigens von der Sommerresidenz der britischen Premierminister.

Sein Leitgedanke: möglichst enge Handelsbeziehungen mit der EU aufrechterhalten und Kontrollen an der inner-irischen Grenze vermeiden, weil das dort alte Erinnerungen und neue Spannungen wachrufen könnte. Dazu soll eine „Freihandelszone für Waren“ geschaffen werden, aber ohne dass Großbritannien im Gemeinsamen Markt bleibt, sprich: an die dort geltenden Regeln gebunden ist. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker urteilte laut der Nachrichtenagentur Reuters, das „würde Großbritannien unfaire Wettbewerbsvorteile verschaffen.“
Daher die Antwort der EU: Wenn die Briten denn aus Zollunion und Gemeinsamem Markt aussteigen wollen, haben wir ihnen höchstens ein Freihandelsabkommen nach dem Muster des mit Kanada geschlossenen CETA oder des im Juli mit Japan unterzeichneten Vertrags anzubieten.
Emmanuel Macron hat Theresa May ein Ultimatum gestellt: „Die Stunde der Wahrheit ist da. Wir erwarten einen neuen britischen Vorschlag im Oktober [am 18./19. Oktober ist ein neuer Gipfel angesetzt], insbesondere zum Austrittsabkommen.“
Auf den Punkt gebracht: Die Premierministerin muss sich bloß noch mit den europäischen Partnern einigen, und zwar über ein Austrittsabkommen – das dann noch den Segen des britischen Parlaments braucht – und über eine Erklärung zu den zukünftigen Beziehungen ihres Landes zur EU. Ohne dabei zu vergessen, sich aufs Schlimmste vorzubereiten: das No-Deal-Szenario, wenn die Verhandlungen mit der EU scheitern oder sich das Parlament quer legt. Dann kommt ganz nebenbei auch die inner-irische Grenze wieder.
Mich bewegt das – und sogar zu einem sehr europäischen und zugleich urfranzösischen Vorschlag an Theresa May, mit Gute-Laune-Garantie sogar in den übelsten Lebenslagen.
Theresa, wenn du diesen Blog liest: Du bist zum Raclette-Abend bei mir eingeladen. See you soon!