Stephen Dattels, der unsichtbare Financier
Der kanadische Uramin-Gründer ist eine äußerst diskrete Figur. Es gibt nicht ein öffentliches Foto von ihm, niemand aus seiner Umgebung will über ihn reden.
Wie sieht Stephen Dattels* aus? Ist er groß, klein, mager oder dick, bärtig oder glatzköpfig? Trägt er eine Brille und den grauen Anzug des Durchschnittsgeschäftsmanns? Ist er jovial oder eiskalt wie Michael Douglas alias Gordon Gekko im Börsenthriller „Wall Street“? Wir wissen es nicht. Wir haben Menschen angerufen, die ihn kennen, und jene gefragt, die mit ihm zu tun hatten, wie etwa Daniel Wouters, der den Uramin-Deal für Areva ausgehandelt hat. Keiner wollte Auskunft geben.
Dattels, der Geschäftsmann ohne Gesicht
Kanadier, Financier, Jahrgang 1948 – mehr als die offizielle Biografie auf der eigenen Website ist von der Zentralfigur des Uramin-Skandals auch im Internet nicht zu erfahren. Kein einziges Foto von ihm, obwohl er ein sehr reicher Mann ist. Gerade mal ein Bild von seiner Frau Jennifer, bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung. Was steckt hinter dieser extremen Diskretion eines Mannes, der immerhin drei Milliarden-Deals in der Bergbauindustrie abgewickelt hat: den Uramin-Verkauf an Areva für 1,8 Milliarden Dollar, die Gründung und den Verkauf der Bergbau-Gruppe Oriel für eine Milliarde Dollar und den Verkauf eines weiteren Uranvorkommens in Namibia an China, für 1,5 Milliarden Dollar.
Ein so erfolgreicher Geschäftsmann könnte es auf die Titelseite der Businessmagazine bringen und sich wie der Amerikaner Warren Buffet als Guru verehren lassen. Das tut Stephen Dattels nicht. Als hätten seine Geschäfte, allen voran die Operation Uramin, auch etwas Fragliches, eine Schattenseite, die das Licht einer zu intensiven Berichterstattung scheuen müsste. Als hätte Stephen Dattels etwas zu verbergen. Verschwiegenheit als Goldene Regel einer Welt im Halbdunkel: vielleicht die wesentlichste Lektion, die er von seinen Lehrmeistern übernommen hat.
Barrick Gold: Dattels erster großer Erfolg
Nach einem Jura-Abschluss und ersten Schritten in einer kanadischen Consulting-Firma, landet Stephen Dattels 1982 bei Barrick Gold. Dort erlernt er die Grundlagen des „Business“ und klettert in fünf Jahren die Karriereleiter bis zum Finanzdirektor hoch. In seiner offiziellen Biografie auf seiner persönlichen Webseite spricht er nur von seinen erfolgreichen Börsenoperationen für Barrick Gold, die den Wert des Unternehmens, wie er bescheiden feststellt, verzehnfacht hätten. Über die Schattenseiten von Barrick Gold verliert er kein Wort.
Barrick Gold, ein Bergbauunternehmen im Goldsektor, wurde Mitte der 1970er-Jahre von dem berühmt-berüchtigten saudi-arabischen Mittelsmann und Waffenhändler Adnan Kashoggi gegründet, zusammen mit Partnern aus der CIA, darunter George Bush Senior. In seinem Dunstkreis taucht auch Ted Shakley auf, der legendäre Boss der Geheimoperationen der US-Nachrichtendienste. Zu eben dem Zeitpunkt, als Dattels dort die Finanzabteilung leitet, ist Barrick Gold indirekt in den „Irangate“ verstrickt, einen der größten Skandale der Reagan-Jahre. Auf eine persönliche Verwicklung von Dattels gibt es keine Hinweise, seine Name wurde in der Affäre nie genannt.
Eine Grundregel, die er in diesem obskuren Milieu zweifellos gelernt hat, befolgt Stephen Dattels offenbar bis heute: Hinterlasse keine Spuren!
Nach seinem Ausscheiden bei Barrick Gold macht sich Stephen Dattels selbständig. Der Start ist eher mühsam. Einziger Erfolg: 1996 verkauft er für 130 Millionen Kanadische Dollar eine Goldmine an die Gruppe Ashanti, damals von Samuel Jonah geleitet, der später dem Aufsichtsrat von Uramin vorsitzen wird. Die übrigen Geschäfte laufen weniger gut und zwingen ihn Ende der 1990er-Jahre, Kanada den Rücken zu kehren und sich in London niederzulassen.
Java Gold & Weda Bay: Zwei zwielichtige Unternehmen
Schon bevor er mit Areva das große Los zog, hatte Stephen Dattels eine zwielichtige Operation auf dem Konto: die Affäre Java Gold. Stephen Dattels war Mit-Gründer und Teilhaber dieses Bergbauunternehmens, das an der Börse von Toronto eingetragen war. Er verließ die Firma, kurz bevor die dortige Börsenaufsicht aufdeckte, dass Java Gold bewusst mit falschen Informationen Investoren geködert hatte. Sein Partner wurde in Folge des Betrugs angeklagt, verstarb aber vor dem Prozess. Stephen Dattels selbst wurde in der Affäre offenbar nicht belangt.
Erst Ende 2005 macht Stephen Dattels dann wieder von sich reden. Über seine Geschäftsbank Regent Merchant Bancorp wickelt er den Verkauf der indonesischen Bergbaufirma Weda Bay ab. Der Käufer heißt Eramet und ist der französische Leader im Nickel-Abbau. Die Kontrolle über Eramet teilen sich Areva und die Familienholding Aubert & Duval.
Weda Bay, auf einer verlorenen indonesischen Insel, gilt als viel versprechendes Nickel-Vorkommen. Eramet hat kurz zuvor die Schürfgenehmigung im letzten erschlossenen Nickel-Abbaugebiet von Neukaledonien verloren und braucht dringend Ersatz.
Im März 2006 kauft Eramet deshalb für 275 Millionen Dollar die Mine von Weda Bay. Die Hauptnutznießer sind Stephen Dattels und sein Partner Jim Mellon, der sich einige Wochen vor dem Deal massiv bei Weda Bay eingekauft hatte.
Ein Jahr später wird der Eramet-Chef Jacques Bacardats urplötzlich abgesetzt. Zum Nachfolger ernennt der Aufsichtsrat einen Vertrauten von Anne Lauvergeon. Bis heute, zehn Jahre später, wurde in Weda Bay nicht ein Gramm Nickel gefördert, der Abbau ist dort nie richtig angelaufen. Die Parallelen mit Uramin sind auffällig.
Das Vermögen von Stephen Dattels
16 Monate später räumt Stephen Dattels, immer noch mit seinem Partner Jim Mellon, den Jackpot ab, mit dem Verkauf von Uramin an Areva für 2,5 Milliarden Dollar (1,8 Milliarden Euro) – auch wenn der Gewinn, den der Hauptarchitekt der Operation offiziell einstreicht, bescheiden scheint. Jim Mellon erklärte einer englischen Zeitung gegenüber, er und Dattels hätten sich 130 Millionen Dollar geteilt. Die Sunday Times schätzte das Vermögen von Dattels 2009 auf 52 Millionen Pfund, etwa 62,5 Millionen Euro – wenig im Vergleich zu den umgesetzten Summen.
Die Beziehungen zwischen Stephen Dattels und Areva sind mit diesem Deal aber noch nicht abgeschlossen. Der Atom-Riese und der äußerst diskrete kanadische Financier wickeln noch eine dritte Transaktion zusammen ab. Areva kauft 2009 die Anteile von Dattels an Marencia Energy auf, einem gleichfalls auf Uranabbau spezialisierten australischen Unternehmen, mit ebenso dürftigem Ergebnis wie bei Uramin.
Neben seinen Geschäften mit den Franzosen behält Dattels stets die nordamerikanische Heimat im Auge. Im Juni 2009 überschreibt er der Stiftung Clinton zwei Millionen Aktien von Polo Ressources, einer seiner Holdings. Sie sind geschätzte 40.000 Dollar wert. Die Spende wird in einer Presseaussendung öffentlich gemacht.
Zufall oder nicht: Einige Wochen später setzt sich, wie aus Wiki-Leaks-Dokumenten hervorgeht, der US-Botschafter in Bangladesh bei der dortigen Regierung dafür ein, dass sie einer Firma, an der Polo Ressources Anteile hält, eine Schürfgenehmigung erteilt. Der US-Journalist Peter Schweizer erzählt diese Episode in seinem Buch „Clinton Cash“.
Stephen Dattels goldenes Zeitalter
Die zweite Hälfte der 2000er-Jahre bringt Stephen Dattels ein weiteres einträgliches Geschäft. Nach dem Meisterstück Uramin gründet er mit dem russischen Milliardär Sergej Kurzin die Bergbau-Gruppe Oriel. 2008 verkauft er sie für 1,5 Milliarden Dollar an den Mechel-Steel-Konzern. Dattels hielt rund zehn Prozent der Oriel-Akten, muss also ein rundes Sümmchen eingestrichen haben.
Fast gleichzeitig kauft er sich bei Extract Resources ein, der Betreibergesellschaft einer Uran-Mine in Namibia. Deren Schürfrechte – und ihre Schulden dazu – übernimmt anschließend ein chinesischer Staatskonzern, für 2,2 Milliarden Dollar.
Nach diesen drei großen Transaktionen, die ihn reich gemacht haben, hätte sich Dattels zurückziehen können. Er hat es nicht getan, sondern weitere Geschäfte aufgezogen, allerdings mit weniger Glück.
Etwa mit Kuala Limited, an der Londoner Risikokapitalbörse AIM eingetragen. Das Unternehmen sollte ursprünglich in den Bergbau und die Energiewirtschaft in Asien investieren. Nach einigen erfolglosen Jahren hat es nicht nur den Namen gewechselt sondern auch das Betätigungsfeld: Es heißt jetzt sinnigerweise FastForward und ist auf Biotechnologie umgestiegen. Die PR-Strategie hat ein gewisser Jim Mellon in die Hand genommen, der zugleich einer der Hauptaktionäre wurde. Er verspricht jedem, der es hören will, dass er die neue Wunderformel für fantastische Gewinne entdeckt hat – bislang ohne viel Erfolg.
Dattels, der Philanthrop
Stephen Dattels lebt inzwischen wieder in Kanada und zeigt sich von der philanthropischen Seite. Er hat eine Stiftung für Umweltschutz gegründet und einer kanadischen Universität 1,5 Millionen Dollar gespendet, für den Aufbau eines spezifischen Studiengangs zum Wirtschaftsrecht in der Bergbauindustrie.
Trotz einer beeindruckenden Serie guter und zweifelhafter Geschäfte ist Stephen Dattels in Kanada bis heute weitgehend unbekannt. Alain Deneault, Autor mehrerer Bücher über die Skandale der Bergbauindustrie (vgl. sein Interview in diesem Dossier), kennt ihn ebenso wenig wie die kanadische Senatorin Céline Hervieux-Payette, die eine Untersuchung der Uramin-Affäre leitete. Abzuwarten bleibt, ob er seine fast perfekte Anonymität noch wird bewahren können, wenn ihn die französischen Untersuchungsrichter im Rahmen der Ermittlungen zum Fall Areva-Uramin verhört haben.