Der Redetext in der Übersetzung
Panti Bliss – 1. Februar 2014
Rede im Abbey Theatre, Dublin
Hallo! Ich heiße Panti. Und für alle Sehbehinderten oder Super-Naivlinge: Ich bin eine Drag Queen. Dazu bin ich eine Performerin und durch Zufall Aktivistin für die Rechte der Homosexuellen.
Wie Sie vielleicht schon erraten haben, entstamme ich der stinknormalen Mittelschicht. Mein Vater war Landtierarzt, ich besuchte eine anständige Schule, und danach kam das höchste der Gefühle für eine Mittelschicht-Karriere: das Kunst-College. Vielleicht mag das den einen oder anderen hier erstaunen, aber ich habe es immer geschafft, in dem von mir gewählten Bereich mein Geld zu verdienen: als Transe.
Das heißt, die zermürbende, fürchterliche Armut, die in dem Stück heute Abend so eindringlich dargestellt wurde, habe ich zum Glück nie am eigenen Leib erlebt.
Unterdrückung hingegen kann ich nachvollziehen. Natürlich sind meine eigenen Erfahrungen nicht mit der Situation von Arbeitern in Dublin 1913 vergleichbar, aber ich weiß, wie sich Diskriminierung anfühlt.
Standen Sie je an einem Zebrastreifen, wo ein Auto vorbeifährt, mit ein paar Kerlen drin, die sich aus dem Fenster beugen, Ihnen „Schwuchtel“ zurufen und eine Milchtüte auf Sie schleudern?
Das tut nicht wirklich weh, es ist nur ein nasser Karton. Und sie haben ja Recht, ich bin schwul. Es tut nicht weh, aber es ist bedrückend.
Wirklich weh tut es erst später. Später nämlich grüble ich, sorge und quäle mich, wegen dem, was sie in mir gesehen haben. Was hat mich verraten? Und ich hasse mich dafür, wenn ich darüber nachdenke. Es ist bedrückend, und wenn ich dann das nächste Mal am Zebrastreifen stehe, – und ich hasse mich dafür – dann schau ich an mir runter, um zu prüfen, was an mir es sein könnte, das mich als Schwulen verraten könnte, um sicherzugehen, dass es diesmal nicht passiert.
Sind Sie schon mal abends heimgekommen, haben den Fernseher eingeschaltet und sehen eine Talkshow mit netten, anständigen, klugen Leute, die wahrscheinlich gute Nachbarn sind und für Zeitungen schreiben. Und die führen gerade eine TV-Debatte durch – über dich: darüber, welche Art von Mensch du bist, ob du zum Elternsein taugst, ob du die Institution der Ehe zerstören willst, ob man Kinder mit dir allein lassen kann, ob Gott dich für abartig hält, ob du krank bist. Und sogar die nette Fernsehmoderatorin, die einem so vertraut vorkommt, findet das völlig in Ordnung, dass alle darüber debattieren, wer du bist und welche Rechte du „verdient“ hast.
Das ist bedrückend.
Waren Sie schon mal in einem vollen Zug mit Ihrem schwulen Freund und sind innerlich zusammengezuckt, weil er sich wirklich mega-tuntig benimmt, und Sie ertappen sich dabei, dass Sie das auszugleichen versuchen, indem Sie sich bewusst kernig-männlich geben und die Unterhaltung auf ein mainstreamigeres Thema umzulenken versuchen? Da steht man selbst seit 35 Jahren so aufrecht wie möglich zu seinem Schwulsein – und schämt sich tief drin für die Tuntigkeit des Freundes in der Öffentlichkeit.
Dafür hasse ich mich. Und es ist bedrückend.
Und wenn ich am Zebrastreifen stehe, dann schaue ich an mir runter und prüfe meine Erscheinung.
Waren Sie schon mal in Ihrem Lieblingscafé mit der Zeitung, die Sie jeden Tag kaufen und schlagen sie auf und finden darin die 500-Worte-Chronik einer netten Mittelschicht-Lady, die wahrscheinlich für wohltätige Zwecke spendet und der man jederzeit seine Kinder anvertrauen würde. Und dann liest du, wie sie darin völlig vernünftig erklärt, warum du schlechter behandelt werden solltest und weniger Rechte haben solltest als die anderen. Wenn dann die Frau am Nachbartisch aufsteht und sich mit einem Lächeln entschuldigt, weil sie sich an Ihnen vorbeiquetscht, und Sie lächeln zurück und sagen „Kein Problem!“, fragen sich aber insgeheim automatisch „Denkt SIE das auch über mich?“
Auch das ist bedrückend. Man geht raus und steht wieder mal am Zebrastreifen und schaut an sich runter und hasst sich gleichzeitig dafür.
Haben Sie schon mal den PC angemacht und Videos mit Leuten wie Sie gesehen, in fernen und auch ganz nahen Ländern, Leuten, die geschlagen, verhaftet, gefoltert, ermordet wurden, nur weil sie so sind wie Sie?
Das ist bedrückend.
Vor drei Wochen war ich im Fernsehen zu Gast. Dort vertrat ich die Meinung, dass Menschen, die sich öffentlich dafür einsetzen, dass Schwule und Lesben weniger oder andere Rechte haben sollten, aus meiner schwulen Sicht homophob seien. Einige Menschen, die sich öffentlich dafür einsetzten, dass Schwule und Lesben weniger Rechte haben sollten, fühlten sich dadurch auf den Schlips getreten und drohten mir und dem Sender RTÉ mit einer Klage. RTÉ reagierte sehr schnell darauf und beschloss in seiner großen Weisheit, den Betroffenen viel Geld zu geben, um sie den „Affront“ schnell vergessen zu machen. Ich kam leider nicht in diesen Genuss.
In den letzten drei Wochen haben mir jetzt Heterosexuelle erklärt, was Homophobie ist und wer diese beim Namen nennen dürfe. Lauter Heteros – Minister, Senatoren, Anwälte, Journalisten – standen Schlange, um MIR zu erklären, was Homophobie ist und was ich als diskriminierend empfinden darf. Leute, die in ihrem Leben noch keine Homophobie erleiden mussten; Leute, die nie am Zebrastreifen ihr Äußeres checken mussten. Und die sagen mir, dass es keine Homophobie gibt, solange ich nicht ins Gefängnis geworfen oder wie Vieh in einen Güterzug getrieben werde.
Das ist bedrückend.
Wir irischen LBGTs befinden uns in der aberwitzigen Situation, wo es uns nicht nur verboten ist, öffentlich zu sagen, wodurch wir uns diskriminiert fühlen. Wir dürfen es gar nicht erst denken, weil unsere Definition des Sich-diskriminiert-Fühlens von „besseren“ Menschen als uns in Abrede gestellt wurde.
Seit drei Wochen werde ich verleumdet, vom Parlament bis zu den Zeitungen, ganz zu schweigen von massenhaften Kommentaren im Netz, weil meine Rede Hass widerspiegele. Weil ich es wagte, das Wort Homophobie zu verwenden. Eine arrogante Schwuchtel wie ich sollte wissen, dass das Wort Homophobie Gays nicht mehr zur Verfügung steht. Was ein spektakulärer Orwellscher Trick ist, weil sich erweist, dass nicht die Gays Opfer von Homophobie sind, sondern die Homophoben selbst!
Aber ich will an dieser Stelle sagen, dass das nicht stimmt. Ich hasse Sie nicht.
Allerdings glaube ich, dass die meisten von Ihnen homophob sind. Ich selbst bin homophob. Es wäre unglaublich, wenn es anders wäre. In einer derartigen Gesellschaft aufzuwachsen, die so durch und durch homophob ist, und heil davonzukommen, wäre ein Wunder. Darum hasse ich Sie nicht wegen Ihrer Homophobie. In Wirklichkeit bewundere ich Sie. Ich bewundere Sie, weil die meisten hier nur einen Tick homophob sind. Was unterm Strich ein guter Anfang ist.
Allerdings hasse ich mich manchmal selbst. Ich hasse mich, weil ich bescheuerterweise meine Erscheinung prüfe, wenn ich am Zebrastreifen stehe. Und manchmal hasse ich Sie dafür, dass Sie mir das antun.
Aber nicht jetzt. Jetzt mag ich Sie alle richtig gerne dafür, dass Sie mir ein wenig Ihrer Zeit geschenkt habt. Und dafür bedanke ich mich.