Nur 50.000 oder doch 1,17 Millionen Nachzügler?
Ab dem 1. August gilt die neue Regelung, nach der Flüchtlinge mit subsidiären Schutzstatus, darunter viele Syrer, ihre engsten Familienangehörigen nach Deutschland holen können. Davon betroffen ist lediglich die Kernfamilie, also Ehepartner, minderjährige Kinder und die Eltern von minderjährigen Schutzbedürftigen. Minderjährige Geschwister fallen nicht darunter.
Über das Gesetz war während der Koalitionsverhandlungen lange gestritten worden. Politiker hatten mit Zahlen Meinungsmache betrieben. Daniel Freiherr von Lützow von der AfD warnte, wenn nur jeder Flüchtling drei Familienmitglieder nachholen würde, wären mit 1,17 Millionen neuen Harzt IV-Empfängern zu rechnen. Er bezog sich auf einen Artikel der Bild-Zeitung, der von 390.000 Syrern mit Anrecht auf Familiennachzug ausging.
"Die Zahlen sind auf einer unseriösen Grundlage in die Welt gesetzt worden", erklärt Herbert Brücker, Leiter des Forschungsbereichs "Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung" am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg. Das gälte auch für die Schätzung des ehemaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière der CDU, jeder Flüchtling mit subsidiären Schutzstatus werde einen Angehörigen nachholen.
Viele junge ledige Männer
"Man hat während der Koalitionsverhandlungen die Zahlen genommen, die man zur Hand hatte und wenn es um so sensible Fragen geht, muss es natürlich auch eine kontroverse Diskussion darüber geben", erklärt Brücker. "Was ich kritisiere ist, dass sich die Politik, in dem Moment, in dem es belastbare Zahlen gab, damit nicht auseinandergesetzt hat." Sein Institut kommt auf deutlich geringere Werte: Einer repräsentativen Befragung zufolge hätten nur 25 bis 33 Prozent der Flüchtlinge mit eingeschränktem Bleiberecht Familienangehörige, die nachzugsberechtigt seien. Hochgerechnet wären das zwischen 50 bis 60.000 Personen.
Der Migrationsforscher nennt hierfür zwei Gründe. Einerseits seien knapp die Hälfte der Geflüchteten alleinstehende junge Männer. Andererseits seien die Schutzbedürftigen mit Familie zu bis zu 70 Prozent mit ihren Angehörigen nach Deutschland geflohen, oder hätten sie schon nachgeholt. "Der Anteil, der jetzt noch in den Herkunfts- oder Transitländern lebt, ist relativ klein", so Brücker.
Wer entscheidet, wer kommt?
1.000 Familienmitglieder von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutzstatus sollen nun monatlich nach Deutschland gelangen dürfen. Darauf hat sich die Koalition geeinigt. Wer kommt, entscheidet das Bundesverwaltungsamt. Dabei sollen vor allem humanitäre Gründe berücksichtigt werden: die Dauer der Trennung, ob es in der Familie minderjährige Kinder gibt oder den Angehörigen Gefahr droht. Auch kranke, pflegebedürftige und behinderte Angehörige sollen Vorrang haben. Schließlich soll es auch Bonuspunkte für deutsche Sprachkenntnisse geben.
Für Kritik sorgte das seitens der Opposition. Die grüne Abgeordnete Luise Amtsberg gab zu bedenken, die Rangfolge der humanitären Kriterien sei unklar und läge allein im Ermessen der Behörden. FDP-Franktionsvize Stephan Thomae warnte davor, der Nachzug vieler Angehörigen könne Jahre dauern.
Zu viel Aufwand, zu viele Ängste
Auch die Sozialverbände Diakonie, Caritas und Deutsches Rotes Kreuz taten die neue Regelung als inhuman ab und forderten Nachbesserungen. "Humanitäre Schutzbedürftigkeit und eine starre Kontingentlösung halten wir für miteinander nicht vereinbar", sagte das Diakonie-Vorstandsmitglied Maria Loheide dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Außerdem warnte das Deutsche Rote Kreuz vor zu hohen administrativen Hürden. So seien humanitäre Gründe für die Angehörigen oft nur schwer nachweisbar.
"Wir wissen, dass der Familiennachzug die Integration erleichtert", schließt Migrationsforscher Herbert Brücker. "Im Hinblick der Wohlfahrt, der Lebenszufriedenheit und des Gesundheitszustands der Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz in Deutschland wäre es sinnvoll gewesen, den Familiennachzug für diese Gruppe, die wahrscheinlich längerfristig in Deutschland leben wird, einfach zuzulassen. Vor allem, da es sich um überschaubare Zahlen handelt. Dann hätte man sich diesen bürokratischen Aufwand sparen können."