Rein optisch schwankt die Ästhetik des Solarpunk zwischen Jugendstil und nachhaltiger Architektur: Feenhafte Nutzerinnen und Nutzer umweltfreundlicher Technologien lustwandeln durch Städte mit üppiger Vegetation, die einen gewissen Afrofuturismus nicht verleugnen können (ob das autoritäre Königreich Wakanda aus dem Film „Black Panther“ wohl auch als Solarpunk durchgeht ...?). Wie der Name Solarpunk schon andeutet, räumt das Genre der Solartechnologie breiten Raum ein und betreibt einen fast mystischen Kult um das zentrale Gestirn unseres Planetensystems. Während die Sonne nämlich die Atmosphäre stetig aufheizt, sorgen technische Neuerungen dafür, dass die vernichtende Kraft des Himmelskörpers zu unserer Rettung wird. Die Allgegenwart der Solartechnologie im Solarpunk erinnert an die naive Atomgläubigkeit der 1950er, 60er und 70er Jahre, als in den Geschichten des Schriftstellers Isaac Asimov miniaturisierte Kernkraftwerke in den Alltag der Menschen Einzug hielten und auf wunderbare Weise alle Probleme lösten.
Doch womit verdient der Solarpunk die Nachsilbe „-punk“, die ja doch ein gewisses Maß an Subversion erfordert? Ist das Ganze nur Schwindel? Eine technologische Utopie, die uns von einer neuen Wissenschaftlergeneration untergejubelt werden soll? Keine Panik … Denn auch wenn die Punk-Philosophie um systematische (und lautstarke) Dekonstruktion kreist, darf man ihre Fähigkeit nicht außer Acht lassen, Menschen gerade durch ihren Pessimismus neue Hoffnung zu schenken (und soziale Ungerechtigkeiten anzuprangern). Nach Meinung der Sozialwissenschaftlerin Jennifer Hamilton rührt die Subversivität des Solarpunk in erster Linie daher, dass sein zur Schau gestellter Optimismus die Menschen nicht dazu anhält, den Regeln des Establishments zu folgen, sondern sie im Gegenteil dazu verleiten will, diese zu umgehen. Die Besonderheit der Bewegung liege darin, dass sie sich dank unterschiedlichster Anhänger aus den Bereichen Umweltschutz, Ingenieurswesen, Softwareentwicklung und Open Source parallel aus Wort (fantastische Literatur) und Bild (angewandtes und spekulatives Design) entwickelt hat. > Eine experimentierfreudige Gemeinde, die aus einer nichtlinearen, offenen Netzkultur hervorgegangen ist – in einer Zeit, die Cyberpunk-Pionier Bruce Sterling als „atemporal“ bezeichnet. Schluss mit dem Erinnerungsprimat der Geschichte, Schluss mit der linearen, eingleisigen Erzählung unserer politischen Vergangenheit. Im Zeitalter der Netzwerke geschieht alles gleichzeitig, verschiedene Stimmen äußern parallel widersprüchliche Meinungen. Auch wenn die Gefahr eines digitalen schwarzen Lochs besteht (siehe unsere beiden Artikel zu diesem Thema), wird bei der Archivierung deutlich weniger gesiebt als früher, und das Vergessen fällt schwerer. Auf einer Konferenz erklärte Sterling: „Wir befinden uns in einer Zeit des Verfalls und der Umwidmung zerstörter Strukturen, einer Zeit neuer gesellschaftlicher Erfindungen im Inneren von Netzwerken, (…) keine Kathedrale der Geschichte als Hintergrund für Zukunftsutopien, sondern ein wild vernetztes Durcheinander von Geschichte und Futurismus.“ (We are into an era of decay and repurposing of broken structures, of new social inventions within networks, (...) a crooked networked bazaar of history and futurity, rather than a cathedral of history, and a utopia of futurity. )
Dass die Urheber des Solarpunk ihre Bewegung als Nachfolger des Cyberpunk sehen, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass sie sich bei den führenden Autoren jenes Genres ordentlich bedient haben. Mit Neal Stephensons „Project Hieroglyph“ zur Schaffung eines Science-Fiction-Genres mit politischer Botschaft, das Entwickler und Ingenieure stimuliert und inspiriert, legitimieren die Anhänger des Solarpunk ihr Vorhaben, die Welt zu retten. In seinen Erörterungen zur Atemporalität beschreibt William Gibson Utopien, deren Urheber sich der Vergänglichkeit ihrer Ideen, der Beschränktheit ihrer Perspektive und der Notwendigkeit steter Nachbesserungen voll bewusst sind: „Lasst euch nicht länger von der Idee technischer Innovation blenden.“ (No longer allow yourself to be hypnotized by the sense of technical novelty). So versteht sich der Solarpunk weniger als Nachfolger der bisherigen SF-Genres, sondern vielmehr als Fortführung eines bestimmten politischen Ideals, dass neben vielen anderen in der umfangreichen Science-Fiction-Literatur zu finden ist. Die Glaubensjünger des transhumanen Menschen und die Zyniker, die sich schon bald in den schmutzigen Abgründen einer niedergegangenen Zivilisation wiederzufinden glauben oder in einem Bunker auf das Ende der Welt warten, werden vielleicht einer neuen Ästhetik Platz machen müssen. Bis dahin könnt ihr euch ja mal diesen Prototyp eines sonnengetriebenen Floßes näher anschauen, das aussieht, als hätten Umweltschützer aus dem 20. Jahrhundert das Drehbuch zu „Waterworld“ neu geschrieben …