TRACKS: Schauen wir einmal auf die milliardenschwere Mainstream-Pornoindustrie von heute. Erzähl uns doch bitte aus deiner Sicht, mit welchen Hauptproblemen viele Darsteller*innen in diesem harten Business zu kämpfen haben.
Erika Lust: Sexarbeit ist als Beruf stark stigmatisiert, und Sexarbeiter*innen werden mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert, sowohl im Business selbst als auch außerhalb. Was das Pornogeschäft angeht, müssen die Darsteller*innen sich angesichts der Zunahme kostenloser Angebote im Internet mit immer geringeren Gagen in Low-Budget-Produktionen abfinden. Als Pornhub in den 2000ern den Betrieb aufnahm, sanken die Gagen dramatisch. Viele Darsteller*innen haben ihre Sexarbeit auf andere Bereiche ausgeweitet, um mehr Geld zu verdienen, zu einer bekannten Marke zu werden und eine eigene Fangemeinde aufzubauen. In der Vergangenheit hatten die Darsteller*innen in Erwachsenenfilmen kaum Kontakt zu den Fans, doch heutzutage nutzen viele die sozialen Medien zur Markenpflege. Auf diese Weise versuchen sie, sich einen gesicherten Lebensunterhalt zu verdienen, und das ist eine Menge Arbeit. Der Wettbewerb im Business ist hart und die Karrieren vieler Darsteller*innen enden viel früher als in der Vergangenheit. Vor allem bei den Darstellerinnen liegt die durchschnittliche Halbwertszeit nur zwischen sechs und achtzehn Monaten.
Studie „Deep Inside: A Study of 10.000 Pornstars and their Carreers“
Sexarbeiter*innen sind im Beruf auch sehr häufig sexueller Gewalt ausgesetzt. Die Argumentation, dass angeblich niemand freiwillig Pornos drehen würde, die Trennlinie zwischen Vergewaltigung und Porno daher unsichtbar sei und Pornodarsteller*innen im Falle einer Vergewaltigung selbst schuld daran seien, hat dazu geführt, dass sie viel zu lange darüber geschwiegen haben. Der Trugschluss, dass Sexarbeiter*innen nicht vergewaltigt werden können, hat sie aus dem öffentlichen Diskurs über sexuelle und gender-spezifische Gewalt ausgeschlossen. Sie wurden auch innerhalb der Pornoindustrie zum Schweigen gebracht, da sie zu Recht fürchten mussten, als „schwierig“ eingestuft zu werden, sobald sie einen sexuellen Übergriff am Set anzeigen.
Außerhalb der Industrie werden Sexarbeiter*innen stark stigmatisiert. Sie werden häufig online beleidigt oder bedroht, können aber ihre Profile in den sozialen Netzwerken nicht löschen, weil diese ein wesentlicher Bestandteil ihres Geschäftsmodells sind. Wenn Familie und Freunde sie nicht in ihrer beruflichen Entscheidung unterstützen, fehlt ihnen der Rückhalt, der mittlerweile auch unter anderen Sexarbeiter*innen immer schwieriger zu finden ist, seit FOSTA/SESTA in den USA verabschiedet wurden und auf Tumblr keine pornografischen Inhalte mehr verbreitet werden dürfen.
FOSTA/SESTA bei Wikipedia
Sexarbeiter*innen mit psychischen Problemen werden stigmatisiert, wenn sie eine Therapie aufnehmen möchten. Nach den Selbstmorden der Pornodarstellerinnen Stylez, Olivia Nova, Yuri Luv, August Ames und Olivia Lua wurden ihre Schicksale als Aufhänger genutzt, um gegen Sexarbeit und die Pornoindustrie allgemein Stimmung zu machen. Anstelle das Business für die Todesfälle verantwortlich zu machen, sollten wir uns lieber klar machen, wie sehr die Stigmatisierung der Sexarbeit die Menschen isoliert und verhindert, dass sie sich psychologische Unterstützung holen können. Wir müssen sicherstellen, dass Sexarbeiter*innen den gleichen Zugang zu medizinischer und psychologischer Versorgung erhalten.