Im Oktober 2023 schlägt Human Rights Watch Alarm: Rund 500 nach China geflüchtete Nordkoreaner wurden in ihr Heimatland zwangsrückgeführt. Die Abschiebungen sind besorgniserregend. In Nordkorea gelten die Flüchtlinge als Landesverräter und werden mit Gefängnis, Folter oder gar dem Tode bestraft.
Weder Peking noch Pjöngjang äußern sich zu den Abschiebungen. Also suchen wir nach Informationen in den sozialen Netzwerken, analysieren hunderte von Videos und vergleichen sie mit öffentlichen Ausschreibungen, Polizeimitteilungen und Satellitenbildern. Sie zeigen, wie China auf Hightech und auf die eigenen Bürger setzt, um nordkoreanische Flüchtlinge zu jagen und abzuschieben.
In den sozialen Medien kursieren zahlreiche Videos vom Grenzfluss Yalu zwischen Nordkorea und China, gefilmt von Einwohnern und Touristen. Wir geolokalisieren die Aufnahmen dank deutlich sichtbarer Orientierungspunkte wie Brücken oder Gebäude und stellen fest, dass am nordkoreanischen Ufer im Laufe der Zeit immer mehr stacheldrahtbewehrte Mauern und Zäune auftauchen, manchmal in Doppelreihen. Beim Vergleich mit Archivaufnahmen von Google Earth fällt auf, dass viele dieser Befestigungen vor Corona nicht existierten, was darauf schließen lässt, dass Nordkorea die Pandemie genutzt hat, um sich noch mehr abzuschotten.
Die untersuchten Videos zeigen auch eine Verschärfung der Kontrollen auf chinesischer Seite, wo die Behörden aktiv zur Denunziation aufrufen. Auf den Straßen sieht man Tafeln, die jedem eine Belohnung versprechen, der „Illegale“ aus Nordkorea meldet. In einem Video erzählt ein chinesischer Dorfbewohner fröhlich, wie ein Nachbar einen Nordkoreaner zur Polizei brachte und dafür eine Belohnung kassierte.
Ein anderes Video erwähnt die Installation von Überwachungssystemen an der Landstraße 331, die an der Grenze entlangführt. Wir recherchieren und stoßen auf öffentliche Ausschreibungen der chinesischen Behörden, die diese Installationen bestätigen.
Doch damit nicht genug. Mehrere Pressemitteilungen der chinesischen Polizei erwähnen den Bau neuer Abschiebezentren, insbesondere in Tumen. Wir vergleichen ein von der Einwanderungspolizei veröffentlichtes Foto des Gebäudes mit Videos, welche die am Bau beteiligten Unternehmen auf Douyin hochgeladen haben, und können das Zentrum genau lokalisieren: Es ist nur wenige Kilometer von der nordkoreanischen Grenze entfernt.
Im Oktober 2025 veröffentlicht Human Rights Watch einen neuen Bericht über weitere Rückführungen: Seit 2024 wurden laut der Menschenrechtsorganisation 406 Nordkoreaner aus China abgeschoben, was die Gesamtzahl der Rückführungen seit 2020 auf mindestens 1.076 steigen lässt.
Im November 2024 richten die Experten des UN-Menschenrechtsrats ein Schreiben an die Regierung in Pjöngjang und äußern ihre Besorgnis über das Schicksal zweier Frauen, die wahrscheinlich im Oktober 2023 ausgewiesen und bei ihrer Rückkehr hingerichtet wurden. Das Schreiben wird nie beantwortet.
Die Familien der abgeschobenen Nordkoreaner gehen nur selten an die Öffentlichkeit. Zu groß ist die Angst vor Vergeltungsmaßnahmen. Doch Kyu-Li Kim, deren Schwester Cheol-Ok im Oktober 2023 nach Nordkorea zurückmusste, macht ihre Wut und Angst publik. Die Geschichte von Cheol-Oks Verschwinden und Rückführung stimmt mit den Erzählungen ehemaliger Abgeschobener und mit den Berichten internationaler Organisationen überein.
Quellen/Links
Situation in Nordkorea
Schreiben der Experten des UN-Menschenrechtsrats
Grenze zwischen China und Nordkorea
Flucht von Nordkoreanern nach China und Zwangsrückführungen
- Brief an die Vereinten Nationen bezüglich des Schicksals von Cheol-Ok Kim (Transitional Justice Working Group) https://en.tjwg.org/2023/12/05/tjwg-petition-to-wgad-china-dprk-deportee-kim-cheol-ok/
- The plight of North Korean refugees in China (Wilson Center, 03.04.2025) https://www.wilsoncenter.org/article/plight-north-korean-refugees-china
- China forcibly returns 60 refugees to North Korea (HRW, 08/05/2024) https://www.hrw.org/news/2024/05/08/china-forcibly-returns-60-refugees-north-korea
- China forcibly returns more than 500 to North Korea (HRW, 12.10.2023) https://www.hrw.org/news/2023/10/12/china-forcibly-returns-more-500-north-korea
- 55 North Koreans arrive in South in late 2024, bringing annual total to 236 (Nknews, 04.02.2025) https://www.nknews.org/2025/02/55-north-koreans-arrive-in-south-in-late-2024-bringing-annual-total-to-236/
- The odyssey of North Korean Defectors: Issues and problems in the migration process (CUNY Academic Works, 2015) https://academicworks.cuny.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=2023&context=gc_etds
- Why North Koreans don’t escape to Russia instead of China (Crossing Borders, 16/10/2021) https://www.crossingbordersnk.org/blog/why-north-koreans-dont-escape-to-russia-instead-of-china/2021/10/16
- Seit Wiederöffnung der Grenze : Hunderte Nordkoreaner aus China verschwunden (La Presse, 25.04.2024) https://www.lapresse.ca/international/asie-et-oceanie/2024-04-25/des-centaines-de-nord-coreens-disparus-de-chine-depuis-la-reouverture-de-la-frontiere.php
- In North Korea, torture awaits those deported from China (DW, 20.12.2023) https://www.dw.com/en/in-north-korea-torture-awaits-those-deported-from-china/a-67767407
- 9 North Koreans feared deported (NYT, 20.11.2015) https://www.nytimes.com/2015/11/21/world/asia/9-north-koreans-feared-deported.html
- Activists slam China after alleged forced repatriation of North Koreans (VOA News, 13.10.2023) https://www.voanews.com/a/activists-slam-china-after-alleged-forced-repatriation-of-north-koreans/7307935.html
Überwachung und Rückführungszentren in China